Aus den Flüchtlingen wurden Ziad, Shawkat, Louay, Hiner, Nader …
So hat alles angefangen:
Eines Tages kam die Schulbegleiterin Frau Horray zu uns in die H6 und meinte, ob wir nicht Lust hätten, für ein wenig Farbe in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Königshofen zu sorgen.
Schnell war in der Klasse das Projekt „Zu Wasser, zu Lande und in der Luft“ geboren. Frau Kuttruff beschäftigte sich im Kunstunterricht mit den Werken und den Techniken berühmter Künstler, die jeweils Repräsentant für ein Element waren.
24. November 2015 - Das erste Treffen
Die fröhlichen, bunten Bilder der Schüler sind zweifellos Farbtupfen im Leben der Camp-Bewohner. Die fürchterlichen Erlebnisse der Asylbewerber können und sollen dadurch nicht „übermalt“ werden, aber wenigstens der Aufenthaltsraum als Möglichkeit der Begegnung ein wenig ansprechender gestaltet werden.
|
|
|
Wasser Paul Klee |
Land Friedensreich Hundertwasser |
Luft James Rizzi |
Nachdem die Bilder an den Wänden angebracht waren, stärkten sich alle bei Tee und mitgebrachten Muffins. Erste, vorsichtige Fragen wurden gestellt, Neugier wuchs, das Interesse am Anderen war geweckt.
Vier Schüler aus dem Deutschkurs von Herrn Schöttle hatten ein sogenanntes Diamant-Gedicht verfasst, in dem sie versucht haben, sich ein wenig in die Situation der Flüchtlinge zu versetzen. Die Jugendlichen brachten das Gedicht auf Deutsch und Englisch mit und baten darum die Worte auch ins Arabische zu übersetzen.
|
Flucht |
Einen fröhlichen Ausklang fand dieses erste Kennenlernen dann, als Hiner, ein Asylbewerber, auf der Saz, einer Art arabischer Gitarre, und Frau Kuttruff mit den Schülern gemeinsam sangen.
Hin- und hergerissen von den schlimmen Erlebnissen, von denen die Flüchtlinge berichteten und der Herzlichkeit, mit der wir empfangen wurden, machten wir uns auf den Heimweg.
Uns allen war klar: Wir sehen uns bald wieder!
04. Dezember 2015 - Wiedersehen im Camp
Schon eine gute Woche später war die Klasse H6 wieder in der Gemeinschaftsunterkunft, die von allen nur „Camp“ genannt wird, eingeladen. Das schnelle Wiedersehen freute beide Seiten. Mittlerweile schon viel unbefangener gingen Schüler und Flüchtlinge auf einander zu. Sogar Handynummern wurden ausgetauscht, um auch außerhalb der Schule wenigstens einmal einen kleinen Gruß austauschen zu können.
Zum Abschluss sang uns Hiner wieder ein Lied. Die Gespräche auf dem Heimweg machten deutlich, dass der Gegenbesuch in der Schule längst überfällig war.
11. Dezember 2015 - Gegenbesuch
Voller Aufregung wurde gleich am Morgen das Klassenzimmer hergerichtet, der Tisch gedeckt, Tee gekocht und ein kleines Willkommensgeschenk auf die Plätze der Gäste gelegt. Um 10:00Uhr war es dann soweit. Die Klasse H6 bekommt Besuch aus dem Camp aus Königshofen.
Schnell wurde an die Gespräche der letzten Wochen angeknüpft. Die Flagge Syriens wurde zu einem interessanten Thema. Nader berichtete uns, dass die aktuelle syrische Fahne vom Vater des aktuellen Präsidenten eingeführt wurde. Deshalb können sich die meisten Syrer nicht mit ihr identifizieren, sondern mit der sogenannten „Flag of freedom“ (Flagge der Freiheit).
Die Schüler haben dann in der darauffolgenden Woche gemeinsam diese „Flag of freedom“ in Form eines Windlichtes für ihre Freunde aus dem Camp gebastelt. Es brennt seitdem täglich im Klassenzimmer.
18. Dezember 2015 - Wir lernen Arabisch mit Louay
Ziad und Louay besuchen uns. Als sie das Windlicht auf dem Tisch entdeckten waren sie sehr berührt und erklärten uns die Symbolik der „Flag of freedom“:
- Grün ist die Farbe des Propheten Mohammed und des Islams
- Weiß symbolisiert die strahlende Zukunft
- Schwarz steht für die Jahre der Unterdrückung
- Rot steht für das Blut, das für die Erlangung der Ziele im Kampf vergossen wurde
Die drei Sterne symbolisieren die drei Schicksalsereignisse in Syrien
- Invasion der Türken
- Invasion Frankreichs
- das Assad-Regime
Nach dem nun schon fast obligatorischen, gemeinsamen Tee trinken machte sich die Gruppe zu einer Schulführung auf. Sichtlich beeindruckt waren unsere Gäste von der Ausstattung unserer Schule: Werkräume, Schulküchen … gibt es in dieser Form in Syrien nicht. Eine Klassengröße von 30 und mehr Schülern in Klassenzimmer, die nur wenig größer sind als unsere, sind keine Seltenheit.
Selbst Schüler, die sonst unserer Einrichtung eher skeptisch gegenüber eingestellt sind, begannen so etwas wie Stolz zu entwickeln.
Wieder zurück im Klassenzimmer hatte Louay noch eine Idee:
An unserer Tafel sind Wortkarten mit den Namen der Wochentage auf Deutsch und auf Englisch. Louay, selbst in Syrien zum Englischlehrer ausgebildet, übte mit uns die Wochentage auf Arabisch. Damit auch später weitergeübt kann, nahmen wir noch kleine Videos auf.
22. Januar 2016 - Interessante Gespräche mit Ziad bei einer Tasse Tee
Natürlich pflegen wir auch im neuen Jahr unsere Freundschaft weiter. Ziad besuchte uns. Beim Teetrinken kamen wir auf erstaunliche Unterschiede zwischen Syrien und Deutschland, die wir alle so nicht erwartet hatten:
Während wir hier noch immer auf Schnee warteten, zeigte Ziad uns Bilder aus seiner Heimat, die er am Morgen erhalten hatte. Wir sahen Fotos einer wunderschön verschneiten Winterlandschaft. Eine neue Idee war geboren, wir versuchen die beiden Länder zu vergleichen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszufinden. Gar nicht so einfach … das Ergebnis wird, wenn es fertig ist, noch ergänzt.
26. Februar 2016 - Wir vergleichen mit Shawkat Syrien und Deutschland und mit Ziad wird gekocht
Dieses Mal kamen Ziad und Shawkat zu uns. Shawkat hatte sich am Vortag bei Herrn Schöttle nach den Namen der Schüler erkundigt, sie auswendig gelernt, um jeden Schüler mit seinem Namen und einen Händedruck zu begrüßen. Eine Geste, die ihre Wirkung nicht verfehlte. Diesmal blieb nicht so viel Zeit zum Erzählen, denn wir hatten uns einiges vorgenommen:
Eine Gruppe ging mit Shawkat in den Computerraum, um dort weiter am Vergleich unserer beider Heimatländer zu arbeiten.
Die andere Gruppe ging mit Ziad in die Schulküche, um dort ein syrisches Grieß-Dessert zuzubereiten.
Natürlich wurde das leckere Dessert von allen Schülern gekostet und für sehr lecker befunden.
Für alle, die auch Lust bekommen haben, einmal einen syrischen Nachtisch zuzubereiten … hier das Rezept:
18. März 2016 - Wir bringen den Frühling vorbei
Nachdem es draußen wärmer wird, hat sich die H6 aufgemacht, um auch ins Camp ein wenig Frühling zu bringen.
Während wir im Aufenthaltsraum mit leckerem Tee bewirtet wurden, machte Hiner auf seiner Saz für uns Musik. Einige Camp-Bewohner unterhielten sich mit den Schülern über Syrien und wie schön dort der Frühling wohl sein mag.
In der Zwischenzeit gingen Ziad und Evelin von Zimmer zu Zimmer und brachten allen einen kleinen Frühlingsgruß in Form eines "Candy-Butterflies" (Schmetterling mit Lutscher).
Worüber sich die Camp-Bewohner mehr freuten, über die kleine Nascherei oder Evelins lächelnd vorgetragenes "Willste eins?", sei dahin gestellt.
04. Mai 2016 - Arabisch zum Mitmachen
Heute bekamen wir mal wieder Besuch aus Königshofen.
Der Tisch war gedeckt und der Tee war duftete schon in den Tassen, als unser Freund Louay in die Klasse kam. Die Schüler freuten sich schon den ganzen Morgen auf den syrischen Besuch und sofort erkundigte man sich gegenseitig nach Neuigkeiten. Sprachprobleme? Nicht bei uns!
Dabei kamen wir auf eine Idee:
Immer wieder trifft man in der Stadt oder beim Einkaufen jemanden aus Syrien oder einem anderen arabischen Land, da wäre es doch toll, wenn man wenigstens ein paar Wörter Arabisch sprechen könnte.
Wir haben kleine Videos zum Üben gemacht:
Hallo - مرحبا
Wie heißt Du ? - ما اسمك؟
Wie geht's? - كيف حالك؟
Woher kommst Du ? - من أين أنت ؟
Bitte - من فضلك!
Danke - شكرا!
Tschüß - مع السلامة
... fehlt noch ein ganz wichtiges Wort: Gummibärchen - أقراص صمغية
(Text und Bilder: Stephan Schöttle)